Wer den Rechtsstaat verstehen will, muss ihn erleben. Genau das taten jetzt die Achtklässlerinnen und Achtklässler der Anne-Frank-Schule, die an mehreren Terminen das Amtsgericht Eschwege besuchten und dort Einblicke erhielten, die kein Lehrbuch vermitteln kann. Nach einer intensiven inhaltlichen Vorbereitung im Fach Gesellschaftslehre trafen im Gerichtssaal Realität, Rollenverständnis und Prozessabläufe aufeinander. Die Schülerinnen und Schüler hatten sich zuvor mit den Grundlagen des Rechtsstaates beschäftigt. Dazu gehörten etwa der Aufbau des Grundgesetzes, die Bedeutung der Gewaltenteilung, die Frage, weshalb staatliches Handeln klaren Regeln folgen muss, und welche Prinzipien ein faires Verfahren kennzeichnen. Dieses Vorwissen erwies sich als entscheidender Schlüssel, um das Geschehen vor Ort sicher einordnen zu können. Am Gericht erwartete die Klassen Richterin Carmen Elena Roth. Sie erklärte den Aufbau des Amtsgerichts, beschrieb typische Arbeitsabläufe und stellte juristische und nichtjuristische Berufsfelder vor. Die Offenheit, mit der sie Fragen beantwortete, zeigte den Schülerinnen und Schülern, wie viel Professionalität und Verantwortung die tägliche Arbeit der Justiz erfordert.

Im Sitzungssaal verfolgten die Achtklässler anschließend verschiedene Strafverfahren, die sich mit Betrug, fahrlässiger Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung befassten. Sie beobachteten Zeugen, die versuchten, ihre Erinnerungen möglichst genau wiederzugeben, und Angeklagte, deren Nervosität oder Unsicherheit im Verlauf der Befragung deutlich sichtbar wurde. Besonders eindrücklich war die ruhige und konzentrierte Atmosphäre des Gerichts. Jeder Schritt folgte klaren Regeln und jede Aussage wurde sorgfältig dokumentiert. Lea aus der Jahrgangsstufe 8 beschrieb ihren Eindruck so: „Ich wusste, dass ein Prozess ernst ist, aber ich war überrascht, wie genau alles genommen wird. Jede Aussage wird festgehalten und wirklich geprüft.“ Auch Claas erkannte, wie eng die Rollen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung miteinander verbunden sind und wie entscheidend die formalen Strukturen dafür sind, dass ein Verfahren nachvollziehbar und gerecht bleibt.

Die Schülerinnen und Schüler erlebten zudem, dass einige der Verfahren nicht mit einer Urteilsverkündung endeten. Vertagungen waren notwendig, weil Gutachten fehlten oder neue Informationen eine weitere Prüfung verlangten. Dadurch wurde deutlich, wie anspruchsvoll gerichtliche Entscheidungen vorbereitet werden und wie sorgfältig die Justiz arbeitet.

Richterin Carmen Elena Roth lobte die Achtklässlerinne und Achtklässler ausdrücklich für ihre konzentrierte Beobachtung und ihre präzisen Fragen. Der Jahrgang zeigte ein bemerkenswert sicheres Auftreten in einem Umfeld, das vielen Menschen Respekt abverlangt, und bewies ein hohes Maß an Sachkenntnis und Ernsthaftigkeit. Oberstudienrätin Melanie Salewski ordnete den Besuch ein: „Der Besuch der Gerichtsverhandlungen macht sichtbar, wofür wir an der Anne-Frank-Schule stehen. Unsere Schülerinnen und Schüler sollen verstehen, wie der Rechtsstaat funktioniert und welche Verantwortung mit gerechten Verfahren verbunden ist. Die Verbindung aus fundierter Vorbereitung und echter Prozessbeobachtung ermöglicht Erkenntnisse, die im Unterricht so allein nicht erreichbar wären.“

Das Amtsgericht hatte der Schule im Vorfeld mehrere Termine zur Auswahl gestellt, wodurch alle Klassen teilnehmen konnten. Die Kooperation verlief professionell, offen und ermöglichte einen realistischen Einblick in ein System, das für das gesellschaftliche Miteinander unverzichtbar ist. Der Schultag im Gerichtssaal, der von den Lernenden abschließend entlang verschiedener Kriterien reflektiert wurde, geriet damit zu einem Baustein, der fachlich und persönlich Horizonte öffnet und die Schülerinnen und Schüler der Anne-Frank-Schule in ihrer Entwicklung zu verantwortungsbewussten und kompetenten jungen Menschen unterstützt.