Anne Franks Tagebuch ist nicht nur ein Zeugnis ihrer Zeit, sondern auch ein eindringlicher Appell an zukünftige Generationen, sich aktiv mit Menschlichkeit, Toleranz und Widerstand auseinanderzusetzen. In diesem Sinne unternahmen kürzlich die Gymnasialklassen des 9. Jahrgangs der Anne-Frank-Schule Eschwege sowie die gemischte Klasse 9 aus Gymnasial- und Realschülern des Standorts Wanfried eine zweitägige Studienreise, die das Leben und Vermächtnis von Anne Frank in den Mittelpunkt stellte und zugleich aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen beleuchtete.
Der erste Tag führte die Gruppe zur Justus-Liebig-Universität Gießen. Hier nahmen die Lernenden an einem Workshop mit dem Titel „Was kam nach dem Tagebuch?” teil, gestaltet von Prof. Dr. Sascha Feuchert, Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur (AHL) an der Universität. Zu Beginn wurde der ausgezeichnete Kurzfilm „Triff… Anne Frank” gezeigt, der in Zusammenarbeit zwischen der AHL und dem KiKA entstanden ist. Anschließend verdeutlichte ein Experiment die Lebenssituation im Hinterhaus: Durch Messung der Lautstärke im Hörsaal konnten die Schülerinnen und Schüler nachempfinden, wie leise die Untergetauchten sein mussten, um unentdeckt zu bleiben. Besonderes Augenmerk legten die Schülerinnen und Schüler auf Fritz Pfeffer, einen Gießener Bürger, der im Hinterhaus mit Anne Frank lebte und in ihrem Tagebuch als „Dr. Dussel” erwähnt wird. Sie erarbeiteten, dass der Name „Dussel”, was so viel wie „Dummkopf” bedeutet, der tatsächlichen Person Fritz Pfeffer nicht gerecht wird und lediglich Annes persönliche Sichtweise widerspiegelt.
Im anschließenden Seminar „Bergen-Belsen: Annes letzte Station” setzten sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit dem Dokumentarfilm „Yvonne Polláková – ein slowakisches Mädchen im KZ Bergen-Belsen” auseinander. In Einzel- und Partnerarbeit wurden die Inhalte des Films erarbeitet und diskutiert. Ein Schwerpunkt lag dabei auf dem Vergleich der Lebensgeschichten von Yvonne Polláková und Anne Frank, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Zum Abschluss sahen die Teilnehmenden einen Auszug aus einem Zeitzeugengespräch mit Yvonne Koch, in dem sie die Bedeutung der Demokratie betonte und einen eindringlichen Appell an die junge Generation richtete.
Die Zusammenarbeit zwischen der Anne-Frank-Schule und der Arbeitsstelle Holocaustliteratur begann mit einer von Studienrätin Katharina Theophel initiierten Fortbildung für Lehrkräfte zum Thema „Holocaustliteratur im Unterricht”. Diese initiale Veranstaltung legte den Grundstein für die nun durchgeführte Exkursion und weitere geplante Projekte, die das Andenken an Anne Frank lebendig halten und den Namen der Schule mit Leben füllen. Die Studienrätin betont: „Es ist unser Auftrag und unsere Verantwortung, die Geschichte Anne Franks nicht nur zu lehren, sondern sie erlebbar zu machen, um unseren Schülerinnen und Schülern die Relevanz für ihre eigene Lebenswelt aufzuzeigen.”
Am zweiten Tag besuchte die Gruppe das Anne-Frank-Zentrum in Frankfurt. Dort erkundeten die Schülerinnen und Schüler das Lernlabor „Anne Frank. Morgen mehr”, das sich mit aktuellen Themen wie Hate Speech, Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzt. Durch interaktive Stationen, die an Annes Tagebucheintrag „Morgen mehr.” angelehnt sind, wurde der Bogen von ihrer Geschichte zu heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen gespannt. Stationen wie „Morgen mehr… Mut!” und „Morgen mehr… Respekt!” regten zur Reflexion über den Umgang mit Vorurteilen und Ausgrenzung an. Im anschließenden Workshop wurden die durchlaufenen Stationen gemeinsam reflektiert und die Begriffe Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile vertieft behandelt.
Die Studienreise bot den Schülerinnen und Schülern nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit der Geschichte Anne Franks, sondern auch einen authentischen Einblick in das Universitätsleben. Die Kombination aus historischer Bildung und praktischer Erfahrung machte die Exkursion zu einem besonderen außerschulischen Lernort. Die Kooperation mit der Arbeitsstelle Holocaustliteratur der Justus-Liebig-Universität Gießen wurde erfolgreich fortgeführt. Für die Anne-Frank-Schule bietet diese Zusammenarbeit großes Potenzial für zukünftige Projekte, die das Andenken an Anne Frank lebendig halten und den Namen der Schule mit Leben füllen.
Besonders positiv hervorgehoben wurden das authentische Universitätsgefühl, die Einblicke in das studentische Leben sowie die Kombination aus Vorlesung und Seminararbeit. Katharina Theophel unterstrich die Bedeutung dieser Erfahrungen: „Für unsere Schülerinnen und Schüler ist es essenziell, nicht nur über Anne Frank zu lernen, sondern auch zu verstehen, wie ihre Geschichte unsere heutige Gesellschaft prägt und welche Verantwortung wir alle tragen, um aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.”Sie fügte hinzu: „Es war mir wichtig, dass unsere Schülerinnen und Schüler nicht nur von uns Lehrkräften, sondern auch von externen Experten lernen, da dies einen besonderen Einfluss auf ihren Lernprozess hat.” Die Schülerinnen und Schüler konnten nicht nur theoretisches Wissen erwerben, sondern auch praktische Erfahrungen sammeln, die sie in ihrer persönlichen und akademischen Entwicklung bereichern.
Unterstützt wurde die Reise von den Lehrkräften Verena Diegel-Müller mit FSJ–lerin Jeanette Stebner für die 9a, Hendrik Bergmann für die 9b sowie Claudia Gorges und Stefan Schröder für die 9GR.
Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich begeistert von der Exkursion. Neuntklässlerin Helene Kachel bemerkte: „Die Workshops haben uns gezeigt, wie wichtig es ist, aus der Vergangenheit zu lernen und Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen.” Schülerin Alina Reinhardt ergänzte: „Es war beeindruckend, die Geschichte Anne Franks auf diese Weise zu erleben und darüber nachzudenken, was wir heute gegen Diskriminierung tun können.”